Die Regierung ist daran schuld, dass immer noch so viele Menschen
arbeitslos sind. - Die Autofahrer sind für den Treibhauseffekt
mitverantwortlich. - Man sollte das Management des Unternehmens
für die Folgen des Chemie-Unfalls verantwortlich machen. So oder so
ähnlich reden wir oft im Alltag. Wenn wir so sprechen, dann machen wir
wenigstens oberflächlich betrachtet eine Gruppe oder ein Kollektiv für etwas
verantwortlich. Wir scheinen also davon auszugehen, dass es so etwas wie
kollektive Verantwortung gibt.
Allerdings trifft man auf Schwierigkeiten, wenn man über kollektive
Verantwortung nachdenkt. Denn wenn wir jemanden verantwortlich machen, dann
fassen wir ihn als moralischen Akteur auf. Die natürliche Einheit in
Handlungstheorie, Anthropologie und Ethik ist nun aber die einzelne Person:
sie plant, entscheidet, beabsichtigt, handelt und wird dafür verantwortlich
gemacht. Man muss daher vermuten, dass man einem Kollektiv nur dann
Verantwortung zuschreiben kann, wenn sich die Begriffe wie
Entscheidung, Handlung und Absicht auf Gruppen übertragen lassen. Wie kann man nun
aber Kategorien, die in der Handlungstheorie für individuelle Akteure
entwickelt wurden, auf kollektive Akteure anwenden? Muss etwa eine Absicht von
allen Gruppenmitgliedern geteilt werden, wenn die Gruppe als Kollektiv handeln
und verantwortlich sein können soll, oder reicht es, wenn die Absichten der
Gruppenmitglieder zum Beispiel im Sinne eines Mehrheitsentscheides
zusammengenommen werden? Und gelten Rationalitätsstandards, wie wir sie für
individuelle Akteure kennen, auch für Gruppen?
Eine weitere Schwierigkeit mit dem Begriff kollektiver Verantwortung hat eher moralische Gründe: Wenn wir eine Gruppe verantwortlich machen, dann machen wir die ganze Gruppe verantwortlich. Aber ist das oft nicht ungerecht denjenigen Mitgliedern einer Gruppe gegenüber, die vielleicht in der Gruppe eine Minderheitenposition vertreten?
In diesem Seminar wollen wir anhand neuerer Arbeiten diskutieren, ob und wie man die Begriffe der Rationalität, der Absichtlichkeit und der Verantwortlichkeit auf Gruppen beziehen kann. Ein besonderes Interesse soll dabei den begrifflichen und moralischen Schwierigkeiten gelten, die der Begriff kollektiver Verantwortlichkeit aufwirft. Zu den Autoren, deren Arbeiten wir diskutieren, gehören M. Bratman, J. Feinberg, M. Gilbert und P. Pettit.
Das Seminar erfordert Vorkenntnisse in der praktischen Philosophie und eignet sich daher besonders für alle, die schon die Einführungskurse in praktischer Philosophie besucht haben.
Das Seminar ist den Teilgebieten A1, A3 und A4 zugeordnet. Es kann daher von
B.A.-Studierenden in den Modulen 5 (Kernfach) oder 9 (Komplementfach)
eingebracht werden. Nach der LPO 2003 kann das Seminar für die Module 4 und 6
belegt werden.
Nach Absprache werden wir Gelegenheit für Referate schaffen. Auch Themen für Hausarbeiten können mit Interessenten vereinbart werden.
Die Literatur wird im Rahmen des Seminars bekanntgegeben. Zur ersten Orientierung empfehlen wir
Smiley, Marion, Collective Responsibility, in: Edward N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Herbst 2005)
Erste Sitzung ist am 16.10.2007.
Update C.B., 1/2008